Die widersprüchlichsten Wochen des Jahres haben begonnen. Obwohl die dunkle Jahreszeit mit den längsten Nächten traditionell zur Besinnung einladen soll, mangelt es uns mehr als sonst an Momenten der Ruhe und Regeneration. Wir sind getrieben von Zeitdruck, Erledigungen und Terminen. Meist nehmen wir nur flüchtig wahr, hören mit halbem Ohr zu und hetzen weiter zum nächsten to do-Punkt auf unserer immer länger werdenden Liste. Keine Zeit für Besinnung, keine Zeit, genauer wahrzunehmen und keine Zeit zu reflektieren. Dabei brächte uns ein Innehalten oft mehr als ein Weitereilen oder halbherziges Anhalten.

Zuhören ist keine Zeitverschwendung, sondern Zugewinn

Steve Jobs hatte zu Lebzeiten klare Maximen zur Personalführung. Eine davon lautete „Mehr zuhören als selbst sprechen!“. Schliesslich wusste der Apple-Gründer nicht nur, dass seine Mitarbeiter von den meisten Themen mehr verstanden als er, sondern auch, dass es ihnen wichtig war, gehört zu werden. Im Zuhören liegt eine wichtige Quelle des Verstehens und Wissens begründet, das lernt jeder Diplomat von der Pieke auf. Wer aufmerksam zuhört, gewinnt Informationen und Verständnis für sein Gegenüber. Und genau das hilft, um besser führen zu können – das gilt übrigens für Mitarbeiter wie für Verhandlungen.

Wenn ich meinem Gegenüber zuhöre, erfahre ich mehr über ihn und seine Anliegen. Das kann dienlich sein, um den eigenen Standpunkt besser verständlich zu machen und den anderen mit einer entsprechend angepassten Strategie ebenfalls dafür zu gewinnen. Zuhören bedeutet, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. Dieser Blickwinkel generiert wertvolle Einblicke – und verändert auch den Blick aufs eigene Tun. Zuhören ist keine Zeitverschwendung, sondern ein Investment in eine bessere Zusammenarbeit.

Vom Downloading zur Schöpfung – die vier Ebenen des Zuhörens

Claus Otto Scharmer, Professor am Massachusetts Institute of Technology und Mitbegründer des Presencing Institute, definiert vier Ebenen des Zuhörens:

  • reines Downloading,
  • faktisches Zuhören,
  • empathisches Zuhören und
  • schöpferisches Zuhören.

Beim Downloaden hören wir das, was wir bereits erwartet haben. Unsere Wahrnehmung ist beschränkt auf das, was wir schon wissen, und wir hören nur eine Bestätigung unseres Wissens.

Beim faktischen Zuhören beginnen wir, auf Unterschiede zu vorhandenem Wissen zu achten und diese wahrzunehmen. Doch diese beiden Ebenen reichen noch nicht aus, wenn ich mein Gegenüber für mich gewinnen möchte.

Dafür braucht es das empathische Zuhören, bei dem ich beginne, mich in den anderen hineinzuversetzen. Ich höre dann nicht mehr allein mit dem Kopf zu, sondern nutze zusätzlich meine Gefühle als Wahrnehmungssensoren. Dadurch gewinne ich neue Perspektiven. Wenn wir empathisch zuhören, vergessen wir für einen Moment unsere eigene Agenda und gehen in den Schuhen des anderen. Das hilft enorm für das Verständnis einer Situation oder eines Anliegens.

Beim schöpferischen Zuhören sind wir schliesslich wahrnehmungsfähig für vorhandenes Potenzial, das noch gehoben werden kann. Wir generieren bei diesem Zuhören zukünftige Möglichkeiten. Mit anderen Worten: Wir nehmen das Selbst des anderen wahr und helfen ihm durch gezielte Fragen, sich selbst ebenfalls besser zu erkennen. Nach Professor Scharmer ist die Qualität unserer Beziehungen ein Ausdruck unserer Fähigkeit, zuzuhören. Er verweist darauf, dass in Organisationen funktionierende Beziehungen ein Grundkapital sind, um z.B. Veränderungsprozesse erfolgreich zu meistern. Aktives Zuhören ist demnach eine der wichtigsten Fähigkeiten von Führungskräften.

Ob Reden oder Schweigen – welches Motiv verbirgt sich dahinter?

Diplomaten hören nicht nur sehr genau zu, was wann wie gesagt wurde und ordnen danach ein, warum etwas genauso zu diesem Zeitpunkt in diesem Umfeld geäussert wurde. Nein, Diplomaten hören ebenso genau zu, was NICHT gesagt wurde und reflektieren, warum dazu geschwiegen wurde. Gesagtes und Nicht-Gesagtes gleichen kommunikativen Puzzleteilen, die Diplomaten zusammenfügen zu einem grossen Bild, das ihnen Zusammenhänge und Ziele offenbart. Sie nehmen gleichermassen Zwischentöne und Nuancen wie Gesprächspausen und ausgesparte Mitteilungen wahr.

Echtes Zuhören ist nur in einem Zustand voller Aufmerksamkeit möglich. Und daran mangelt es uns allzu oft. Im Informations- und Kommunikationszeitalter schotten wir uns gelegentlich ab, um im Gewirr der Nachrichten und Mitteilungen nicht unterzugehen. Wir hören dann selektiv und nehmen nur das wahr, was wir wahrnehmen wollen. Und weil wir erleben, dass Medien, Werbung und Politik es mit der Wahrhaftigkeit nicht allzu genau nehmen, schenken wir dem, was wir von dort hören, weniger Glauben, hören nicht richtig hin und nehmen vieles nicht ernst. Dabei geht manches unter, dem wir vielleicht mehr Beachtung hätten schenken sollen. Denn manchmal offenbart ein aufmerksames Zuhören des Empfängers die versteckte Motivation des Senders.

Praxisbeispiel: Friedrich Merz und die Aktienempfehlung

Jenseits der um Wähleraufmerksamkeit buhlenden Parolen von Politikern und ihren Kampfansagen an politische Gegner sind Nebenbemerkungen und das Ungesagte zwischen den Zeilen interessant. Seit der deutsche CDU-Politiker Friedrich Merz seinen Hut in den Ring um den Parteivorsitz warf, sieht er sich der Kritik ausgesetzt, Millionär und Interessensvertreter des internationalen Finanzkapitalismus zu sein. Er spielte daraufhin seinen persönlichen Wohlstand ebenso herunter wie seine Rolle als Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock, einem der mächtigsten Finanzunternehmen der Welt.

Bei der Bundespressekonferenz Ende Oktober liess er sich aber zu einer unaufgeforderten Bemerkung hinreissen, die tief blicken liess: „Deutschland hat eine viel zu kleine Zahl von Aktionären. Andere Länder sind da viel weiter als wir, und ich möchte auch dazu einen Beitrag leisten, dass wir weiterkommen.“ Da Blackrock der grösste Anbieter von Publikumsfonds ist, lässt sich hier eine indirekte Interessenssteuerung kaum leugnen. Ein aufmerksamer Zuhörer, der diese Bemerkung im Kontext einer möglichen Parteiführung und späteren Kanzlerschaft registriert, könnte daraus ableiten, dass Friedrich Merz dem Bundesbürger künftig Aktien schmackhaft machen möchte, damit sein jetziger Arbeitgeber Blackrock an Einfluss und Umsatz gewinnt. Die Nebenbemerkung offenbarte eine Motivation von Friedrich Merz, die später manche seiner Entscheidungen und Handlungen steuern könnte.

Ein Diplomat registriert zu diesem Zeitpunkt lediglich die Bemerkung und ordnet sie als Puzzleteil dem entstehenden Gesamtbild zu. Er schweigt, beobachtet scharf, hört gut zu und analysiert nüchtern. Ohne Wertung, aber mit voller Aufmerksamkeit. Dabei stellt er sich zwei Fragen:

  • Warum sagt Friedrich Merz das?
  • Und: Cui bono? Wem dient das Gesagte?

Zuhören ist eng verbunden mit Achtsamkeit. Und Achtsamkeit im Business-Alltag bedeutet vor allem eines: Klarheit beim Denken und Analysieren sowie ein ausgeprägtes Gespür für Entwicklungen. Glauben Sie mir, es lohnt sich öfter, als Sie gerade denken mögen, aufmerksam und aktiv zuzuhören.

Diplomaten wissen: Zuhören ist mehr wert als Reden

Eine chinesische Weisheit lautet: Reden können ist nicht so viel wert wie zuhören können. Die Diplomatie weiss das längst. Und die Wirtschaft der Zukunft braucht mehr Diplomatie, um eine neue Kultur positiver Kommunikation und konstruktiver Konfliktlösung zu schaffen.

Ich lade Sie ein, mehr zu erfahren über die erfolgreichen Strategien der Diplomatie, um daraus für Ihren Business-Alltag zu schöpfen, im Seminar „Die Kunst des sanften Siegens – Erfolgreich mit Diplomatie“.

Ihre Gerlinde Manz-Christ