Es hagelte Drohbriefe aus den USA und auch die deutsch-französische Freundschaft steuerte auf eine Krise zu – die Diskussion um die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2, an der auch Unternehmen aus Österreich, den Niederlanden, Grossbritannien und Frankreich beteiligt sind, forderte europaweit die hohe Kunst der Diplomatie.

Als US-Botschafter Richard Grenell im Januar mehreren deutschen Firmen, die am Bau der Gaspipeline beteiligt sind, schriftlich damit drohte, ihr Engagement könne „ein erhebliches Sanktionsrisiko nach sich ziehen“, war klar: zwischen Deutschland und den USA drohen wenigstens diplomatische Spannungen. Doch das umstrittene Projekt, dessen Leitungsrohre schon zu einem Viertel verlegt sind, ruft nicht nur in Übersee Kritik hervor. Auch einige EU-Mitglieder sehen die zweite Gaspipeline, die von Russland durch die Ostsee bis nach Deutschland führt, als Bedrohung für die europäische Sicherheit und Unabhängigkeit der Energieversorgung. Die Ukraine fürchtete zudem Einbussen bei den bisherigen zehnstelligen Transiteinnahmen.

Die Diplomaten in Berlin, Brüssel und dem Baltikum waren im Dauereinsatz, um eine konstruktive Lösung zu erreichen, die niemanden das Gesicht verlieren und gleichzeitig nicht das knapp zehn Milliarden teure Projekt scheitern lassen würde. Dies scheint vorerst gelungen zu sein. Werfen wir einen Blick auf die diplomatischen Kunstgriffe:

Konstruktive Lösungen statt konfliktreicher Kampfansagen

Es drohte ein Debakel. Obwohl Frankreich mit einem heimischen Unternehmen an der Pipeline beteiligt ist, befürwortete Paris eine Änderung der EU-Gasrichtlinie, die in der Folge die Pipeline strenger reguliert als bisher. Auch wer als Drittstaat Gas fördere und verkaufe, dürfe nicht gleichzeitig die Pipeline betreiben – genau das ist aber bislang beim russischen Konzern Gazprom, Initiator des Projekts, der Fall. Mit der Zustimmung von Paris zu einer schärferen Gesetzgebung gab es nun eine Mehrheit für die entsprechende Richtlinienänderung mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen. Was tun, um drohende resultierende Konflikte abzuwenden? Klare Antwort: Eine Lösung finden, die möglichst viele Bedürfnisse befriedigt, ohne das Projekt zum Scheitern zu bringen.

Wenn es um viel geht, müssen möglichst viele mit im Boot sein, das wissen Diplomaten genau. Die Kunst dabei ist, den einzelnen Verhandlungspartner das Gesicht wahren zu lassen, so dass niemand als echter Verlierer vom Tisch aufstehen muss. Das bedeutet, aufeinander zuzugehen und für mögliche Vorteile zu werben. Der Bedarf der EU an Importgas wird wachsen, nicht nur in Deutschland. In Berlin, Paris und Brüssel ersann man gemeinsam einen Kompromiss, den alle EU-Staaten mit Ausnahme von Bulgarien mittragen konnten: Es sollen zwar schärfere Auflagen gelten. Doch die Zuständigkeit für Pipelines aus Drittstaaten liegt immer bei jenem EU-Land, in dem die Leitung zum europäischen Netz stösst. Das erfordert zwar künftig eine Abstimmung mit der EU und Gazprom wird auch nicht Lieferant und Betreiber in Personalunion sein können, aber es bringt das Projekt nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zum Scheitern.

Es ist eine europäische Lösung durch und durch – federführend waren dabei Frankreich und Deutschland, die zunächst sehr unterschiedliche Ansichten zu dem Projekt hatten. Eine Glanzstunde der Diplomatie – und ein Grund zum Aufatmen für die europäische Wirtschaft.

Befürchtungen und Bedenken entkräften

Für Kritiker war die Pipeline von Anfang an ein politisches Projekt. Kanzlerin Angela Merkel hingegen beharrte darauf, sie als rein wirtschaftliches zu betrachten. Das sorgte für wachsende Verärgerung in der EU. Bedenken und Befürchtungen müssen, das weiss jeder Diplomat, ernst genommen, aber möglichst entkräftet werden, wenn sie einem Verhandlungsergebnis im Wege stehen. Es droht keine einseitige Abhängigkeit, denn Russland braucht die Gaseinnahmen dringender als Europa russisches Erdgas. Und ebenso soll die Betriebsgenehmigung nur erteilt werden, wenn es einen neuen Durchleitungsvertrag zwischen Moskau und Kiew gibt. Die Interessen der Ukraine bleiben also im Blick der Verhandlungspartner.

Und bei aller Kritik, die in verschiedensten Gewändern daher kommt, gilt es aufmerksam zu hinterfragen, ob die Ursache wirklich geostrategische Zwänge sind oder vielmehr eigene wirtschaftliche Interessen. Die Diplomatie versucht stets, das grosse Ganze in den Blick zu nehmen und sich nicht allein von Befindlichkeiten steuern zu lassen. Denn in verträglichen Lösungen, die möglichst vielen gerecht werden und niemanden als völligen Verlierer zurücklassen, liegt die wahre Kraft der Verbindlichkeit.

Ich bin nicht nur überzeugt, sondern weiss, dass Unternehmer und Manager bereits heute unzählige neue Chancen vorfinden, wenn sie selbst in ihren erbittertsten Konkurrenten immer auch mögliche Kooperationspartner erblicken. Wenn auch im härtesten Kampf niemand erniedrigt und entblösst wird, um den eigenen Triumph zu bestätigen. Der Businesskrieg endet zuerst in den Köpfen und erst dann auf den Märkten. In der Wirtschaft der Zukunft werden sich zahlreiche Chancen aus neuen und ungewohnten Kooperationen ergeben.

Die Kunst des sanften Siegens ist übrigens erlernbar. Diplomatische Strategien lassen sich erfolgreich auf unternehmerisches Handeln übertragen. Wenn Sie mehr dazu erfahren möchten, besuchen Sie gerne mein Seminar „Die Kunst des sanften Siegens“ dazu. Beginn: Mittwoch, 10. April 2019, in Zürich.

Ihre Gerlinde Manz-Christ